Übergangszeit von Antike zu Mittelalter: Befestigte Höhensiedlungen in den Alpen
Im heutigen Südtirol und vor allem im Trentino treffen wir auf eine besondere Situation in der Erforschung des mittleren Alpenraumes. Hier gelingt nicht nur die Lokalisierung vieler Höhensiedlungen im Gelände, sie sind mitunter sogar durch die frühmittelalterliche Überlieferung namentlich bekannt. Schauplatz der aktuellen Forschungen zur Übergangszeit zwischen Antike und Mittelalter im Projekt Vergleichende Archäologie römischer Alpen- und Donauländer sind die äußeren judikarischen Täler im südwestlichen Trentino. Von 2008 bis 2015 wurde hier unter örtlicher Leitung von Marcus Zagermann die befestigte Höhensiedlung auf dem Monte San Martino ausgegraben. 2016 wurde im Tal bei der Kapelle von San Silvestro eine Grabungskampagne durchgeführt.
Befestigte Höhensiedlungen kommen in sehr vielen ur- und frühgeschichtlichen Epochen vor. Während der römischen Kaiserzeit jedoch erst ab dem späten 3. Jahrhundert, einer Zeit, die von großen Herausforderungen gekennzeichnet war (Bürgerkriege, Inflation, äußere Bedrohungen). Damals wurden leicht zu befestigende, exponierte Lagen wegen ihrer natürlichen Fortifikation und der oft vorhandenen Fernsicht immer wichtiger. Sie spielen bis in die Karolingerzeit eine wichtige Rolle und sind daher entscheidende Befunde in der Erforschung einer Zeit, die noch ganz in antiken Traditionen verhaftet ist, aber bereits in Vielem mittelalterliche Entwicklungen vorwegnimmt.
Castra im Trentino: Schlüsselbefunde bis zum Beginn der Karolingerzeit in Italien
Im Trentino sind zahlreiche solcher kleinen Festungen bekannt. Paulus Diaconus, ein Geschichtsschreiber der Karolingerzeit, berichtet aus den unruhigen Jahren des späten 6. Jahrhunderts: Von nördlich der Alpen unternehmen Franken Beutezüge in dieses Gebiet, das damals unter langobardischer Herrschaft stand. Im Jahre 590 verschleppen sie Zivilbevölkerung aus befestigten Höhensiedlungen (Castra) und erpressen Lösegeld von den Angehörigen.
Historiker und Archäologen sind sich einig, in den Castra die Schlüsselbefunde einer Zeit zwischen dem Ende Westroms und dem Beginn der Karolingerzeit in Italien zu sehen. Höchst umstritten sind aber die Chronologie, die Funktion, das siedlungsgeschichtliche Umfeld und viele weitere Charakteristika der Plätze. Die Diskussion wird intensiv geführt, krankt aber vor allem am Fehlen belastbarer Befunde, denn im Arbeitsgebiet war bislang kein Platz modern und großflächig erforscht.
Neue Impulse für die Forschung
Diesem Desiderat soll das Projekt nachkommen und neue Impulse für die Erforschung dieses Zeitabschnitts und seiner wichtigsten Fragen geben: Was war die Intention dieser kleinen Festungen? Wie veränderten sie sich im Laufe der Zeit funktional und baulich? Wann und durch wessen Initiative wurden sie erbaut? Vereinten sie militärische, administrative und zivile Komponenten in sich? Wie wirkte sich ihre Einrichtung auf die bestehende Siedlungslandschaft aus?
Kooperation mit Trentiner Denkmalpflege und Gemeinde Comano Terme
Von 2008 bis 2015 wurde auf dem Monte San Martino ausgegraben. Dabei konnte ein Großteil der Anlage flächig freigelegt werden. Die Ausgrabung erfolgte in Kooperation mit der Trentiner Denkmalpflege, die bereits seit 2004 auf dem Berg tätig war und Unterstützung durch die Gemeinde Comano Terme vor Ort. Durch Luftbilder und Airborne-Laserscans ließ sich früh eine gute Erhaltung der Substanz erahnen. Die Zusammenarbeit und mehrjährige Kampagnen garantierten eine möglichst vollständige Ausgrabung, denn genau eine solche fehlte bisher bei vergleichbaren Plätzen. Vorab erstellte Manfred Stephani (TU München) einen Höhenlinienplan und eine Grundvermessung, als Grundlage für alle weiteren Pläne.
Für Studierende archäologischer Fachrichtungen brachten die Kampagnen im Sommer und Herbst nicht nur eine Abwechslung zum Universitätsalltag, sondern auch eine ideale Ergänzung ihrer Berufsausbildung. Mit durchschnittlich acht Mitarbeitern wurden seit 2008 52 Grabungswochen absolviert. Verschiedene Bereiche archäologischer Feldforschung kamen in dieser Zeit zur Anwendung: von schweren Erdarbeiten in den Anfangsphasen bis zur vorsichtigen Freilegung einzelner Schichten mit feinem Werkzeug. Hinzu kamen tachymetergestützte Dokumentation (Zeichnung und Vermessung mit einem optisch-elektronischen Vermessungsinstrument) und Handzeichnung sowie das Beschreiben von Strukturen und aufgedeckten Schichten und nicht zuletzt auch die Fundbearbeitung.
Interdisziplinäres Arbeiten ermöglicht wichtige neue Erkenntnisse
Ergänzt werden die Ausgrabungen in der Höhensiedlung durch Forschungen im Tal. Durch Hinzuziehung der bekannten Befunde und Funde werden Erkenntnisse über die Siedlungsentwicklung in der zum Berg gehörigen Siedlungskammer gewonnen. Pollenanalysen in den Mooren von Lomasona und Fiavè ergänzen dieses Bild aus klima- und vegetationsgeschichtlicher Sicht. Wie sich diese neu gegründeten Festungen auf ihre Umwelt auswirken, ist nämlich keineswegs geklärt. Lange wurde die Frage diskutiert, ob mit der Errichtung der castra sämtliche Siedlungen im Tal aufgegeben wurden und die Bevölkerung ganz auf die befestigten Höhen zog. In der hier sehr klar umgrenzten Siedlungskammer lässt sich diese Problematik exemplarisch bestens untersuchen.
Bei den Ausgrabungen auf dem Trentiner Monte San Martino arbeiten mehrere Disziplinen Hand in Hand, unter anderem die Archäologie, die Geschichtswissenschaft, die Botanik und die Klimakunde. Ihre Kooperation lässt ein scharf konturiertes Bild entstehen, wird aber ganz bestimmt auch viele neue Fragen aufwerfen.